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22. Nichts Besseres

„Am Morgen des 24. Dezembers, da hat doch kein Mensch etwas vor!“, hörte ich meine Freundin Mona durchs Telefon: „Da sitzt du dann nur wie alle anderen blöd im Wohnzimmer rum und weißt nicht, was du tun sollst, bis es endlich Abend wird.“

Und sie hatte ja recht, ich hatte tatsächlich nichts Besseres zu tun und sagte schließlich: „Okay. Ich werde euch dann begleiten.“

Am besagtem Morgen fuhr Monas Schwester uns dann mit ihrem alten, verdreckten Auto durch die Straßen. Leider waren Mona und ich beide keine Meisterinnen im Stadtplanlesen. Es wäre wahrscheinlich hilfreich gewesen, wenn wir den Erdkundeunterricht aufmerksamer verfolgt hätten. Als ihre Schwester kurz vorm Durchdrehen war, weil wir ihr auch an der dritten Kreuzung nicht zweifelsfrei sagen konnten, ob sie abbiegen musste oder nicht, tauchte das richtige Straßenschild dann doch noch an der Ecke auf, und wenige Minuten später erreichten wir unser Ziel: das Haus von Frau Müller.

Wir stiegen aus dem Auto aus, drückten die Klingel, und Frau Müller kam zur Tür. Als sie öffnete, begannen wir zu singen.

Obwohl ich Frau Müller vorher noch nie begegnet war, konnte ich sofort spüren, dass unsere Stimmen sie mitten ins Herz trafen. Ich glaube, sie überlegte sogar einen Augenblick, ob sie die Tür nicht besser wieder schließen sollte. Dann aber ließ sie die Tür offen stehen und hörte uns zu. Dabei weinte sie, und gleichzeitig lächelte sie uns mit strahlenden Augen an. Als wir mit dem Singen aufhörten, bedankte sie sich unzählige Male: „Ich dachte, dass es heute niemanden gibt, der an mich denkt, aber ihr habt an mich gedacht und mir solche Freude bereitet mit euren Stimmen!“

Es ist schade, dass ich ihr heute nicht mehr sagen kann, wie oft ich mich noch zurückerinnere an diese Begegnung mit ihr. An einen Morgen, der mich geprägt hat, an dem ich – tatsächlich – nichts Besseres zu tun hatte.