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11. Ein roter Weihnachtstraum

Pfarrer Strange hatte lange an einem Rezept herumgetüftelt, doch mit dem Ergebnis war er nie ganz zufrieden. Dabei wurde jeder kleine Schritt bei der Zubereitung des heiligen Weihnachtsgetränks akribisch geplant, wie bei einem guten Krippenspiel. Nichts überließ er dem Zufall. Alles musste stimmig sein.

Lange hatte er nach einem guten Rotwein gesucht. Nicht zu süß, aber auch nicht zu herb.

Die Zimtstangen aus Peru gaben ein besonders kräftiges Aroma ab. Dafür bezahlte Pfarrer Strange gern einen hohen Preis.

Auch nach den perfekten Nelken musste er ewig auf den Gewürzmärkten suchten. Bei den Orangen hatte er leichtes Spiel gehabt.

Newtons Bio-Orangen waren weit und breit die besten auf dem Markt.

Ein kleiner Schluck Rum, selbst gebrannt vom Küster, durfte natürlich nicht fehlen. Besonders stolz war er auf seinen Kniff mit der Tonkabohne. Das brachte den extra Pfiff in den dunkelroten Weihnachtstraum.

Doch nun hielt Pfarrer Strange einen Glühwein in Händen, der viel besser war. Das war Perfektion! Schmeckte er im Abgang einen Hauch von Anis? Oder war es doch der Rum, der seinen Gaumen zum Tanzen brachte? Pfarrer Strange schaute sich um.

Sogar seine Sekretärin, die eher selten Alkohol trank, ging mit einem Becher durch das dichte, weihnachtliche Getümmel im Gemeindehaus. Entschieden ging er auf den Mann zu, der beschwingt die Becher auf der Küchenzeile füllte.

„Sag mal, mein lieber Freund und Bestatter des Vertrauens“, dabei klopfte er ihm leicht auf die Schulter: „Woher hast du denn diesen vortrefflichen Glühwein?“

Erstaunt schaute er Pfarrer Strange an.

„Ach, den habe ich beim Supermarkt um die Ecke für 2,99 gekauft und mit etwas Glühfix verfeinert.“

 

– Deborah Siemermann • Vikarin in der Kirchengemeinde Ohmstede