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12. Weihnachtskarussell

"Im Kreis herum, immer im Kreis herum fährt das Karussell auf dem Weihnachtsmarkt …

Der Tiger aus Hartplastik ist im Sprung gestreckt, der Blick fröhlich geradeaus, und doch wird er nie seinen Sprung an einem Ziel beenden. Denn vor ihm fährt die Feuerwehr. Und neben ihm eine Reitstallparodie: Pferdchen aus Holz auf beweglichen Stangen.

Ist es nicht jedes Jahr so mit uns? Wir drehen uns zu bunten Lichtern im Kreis, zu kitschiger Musik, die wir ohne Glühwein kaum ertragen würden. Wir wollen irgendwohin, wo wir nicht ankommen und doch schon waren.

Gedanken, die aus der frühen Dunkelheit kriechen. Man kann sie nur hören, wenn man neben dem Karussell steht. Drinnen herrschen die Glühlampen in farbigen Birnen, und eine uninspirierte Fassung von „Jingle Bells“ dröhnt aus schlechten Lautsprechern.

Und doch steckt in der kreisförmigen Bewegung eine Kraft, die die unerschrockenen Karussellfahrer stetig nach außen zieht.

Zentrifugalkraft. Würde man stillstehen, würde man sie nicht fühlen.

Vielleicht haben deshalb die Kinder ihre unerklärliche Freude an Karussells? Sie drehen sich zwar mit, aber genießen doch die Kraft, die sie nach außen ruft? Raus aus dem Karussell, durch die Abenddämmerung bis zu der Heimat, zu der wir erst zurückkehren, nachdem unsere Zeit im Karussell zu Ende ist? Eine Heimat, in der hoffentlich so etwas wie ein warmer Kakao und ein Lächeln auf uns warten. Zum Aufwärmen nach der Zeit in der kalten Luft.

„Huhu, Papa!“ Meine kleine Tochter winkt stolz vom Rücken des Tigers. Ihre Augen leuchten im Glitzerlicht, und ich höre ihren Jubelruf sogar über das scheppernde „Jingle Bells“ hinweg.

Ich winke zurück, voll neuer Begeisterung für das Leben.