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15. Über Grenzen hinaus

Naturbelassene Hütten reihen sich nebeneinander. Der Duft von frisch gebrannten Mandeln, Glühwein und Bratwurst liegt in der Luft. In der Mitte des Platzes steht ein Winterwald. Der Geruch von geschlagenem Holz und Tannengrün erinnert Mimi an lange Spaziergänge im Wald. Sie kann zwar nur Umrisse erkennen, hat dafür aber die Geräusche und Gerüche. Neben den vielen verschiedenen Stimmen nimmt sie Weihnachtsmusik wahr. Gerade wird „Last Christmas“ gespielt. Der Klassiker unter den Weihnachtsliedern. Irgendwie findet Mimi das Lied aber tiefgreifend: „Ich habe dir mein Herz gegeben“, heißt es dort. Ihr Herz hat Mimi vor langer Zeit auch schon an jemanden verloren. An Hannah. Hannah hat schulterlanges braunes Haar und grüne Augen. Seit zwölf Jahren gehen die beiden nun durch dick und dünn. Hannah war damals 14 und hatte Mimi zu Weihnachten bekommen. Ein kleines schwarzes Fellknäuel. Heute ist von dem Schwarz kaum noch etwas zu sehen. Stattdessen ist die Schnauze grau, und an einigen Stellen fehlt ihr das Fell. Auch das Sehen klappt nicht mehr so gut wie früher. Aber der Geruchs- und Geschmackssinn funktionieren noch ausgezeichnet. Für Mimi bedeutet so ein Weihnachtsmarkt zu viel Trubel. Sie kann nicht verstehen, wieso Menschen sich das antun. Lieber würde sie zu Hause vor dem Kamin liegen, statt sich durch das dichte Gedränge zu wuseln. Ständig muss sie aufpassen, dass ihr niemand auf die Pfoten tritt. Aber für Hannah tut sie das gerne. Für Hannah würde sie ihr Leben geben. Wer kann so was schon von sich behaupten? Hannah bückt sich und streichelt ihr liebevoll über den Kopf. Allein das ist es wert.