Foto: Merle Specht

19. Weihnachtszauber

Irgendwann spürte ich ihn nicht mehr, den Zauber von Weihnachten. Wo war er nur geblieben? Ich mache mich auf den Weg zu einem guten Freund. Ich betrete seine Wohnung. Plötzlich steigt mir der Duft von Glühwein, Amaretto und Kakao in die Nase. Überall in der Wohnung flammen Kerzen. Ganz unterschiedlich sehen sie aus: groß, klein, dick, dünn. Viel zu viele Menschen tummeln sich in der viel zu kleinen Einzimmerwohnung. Die meisten kenne ich nicht, und doch verbindet uns etwas miteinander. Wir sind hier alle zusammengekommen, um die Nacht vor der Nacht der Nächte miteinander zu verbringen. Ein kleines Kind schreit. Ein älterer Mann versucht, es zu beruhigen. Am Fenster sitzt eine Frau im Rollstuhl. Die achtjährige Anna reicht ihr mit leuchtenden Augen einen Kakao. Daneben sitzt ein etwas grimmig schauender Mann mit einer schwarzen Kapuze über den Kopf gezogen. Als Anna ihm einen Zimtstern reicht, fängt er plötzlich an zu lächeln. Ich setze mich neben eine Frau mit langen braunen Haaren und Brille. Wir kommen ins Gespräch. Sie erzählt mir, dass sie Richterin ist. Uns gegenüber spielen Anna, die Frau im Rollstuhl und der Mann mit der schwarzen Kapuze derweil „Mensch ärgere dich nicht“. Als sich die Wohnung nach und nach leert, beschließe auch ich zu gehen. „Aber zum Schluss müssen wir beide noch ein Foto machen!“, ruft der Gastgeber mir zu. Blitzartig greife ich nach einem Luftballon, der mit Konfetti gefüllt ist, und halte ihn in die Kamera. Ich mache mich auf den Heimweg, hebe meinen Kopf zum Himmel und lächle. Ein Luftballon gefüllt mit Konfetti. Eine Wohnung voll mit Menschen, die sich sonst im Leben nicht begegnet wären, und ein Gastgeber, der jeden willkommen heißt. Er öffnet unterschiedlichsten Menschen die Türen zu seiner Wohnung und macht die Tore seines Herzens weit. Da war er wieder, der Zauber von Weihnachten.