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9. Ein Schwager reagiert

Also der Ton hat mir ja gar nicht gefallen. Gestern habe ich eine Andacht gehört, in der es um einsame Menschen im Advent ging. Ein wichtiges Thema, aber schon recht forsch, ich möchte fast sagen, frech vorgetragen. Ein bisschen hatte ich das Gefühl, der junge Mann will mir die Adventszeit madig machen, was soll so was?! Wie kann man etwas gegen Plätzchenduft haben? Aber na ja, der Vorschlag, sich bei einsamen Familienmitgliedern zu melden, per Karte, oder auch kurz anzurufen, war ja wirklich vernünftig.

Also habe ich meinen Schwager Manfred angerufen. Der war immer schon ein bisschen seltsam. Und seit dem Tod seiner Frau vor sieben Jahren ist er immer mehr zum Eigenbrötler geworden. Normalerweise telefonieren wir genau zwei Mal im Jahr. Zu meinem und zu seinem Geburtstag. Gezwungene zwei Minuten Smalltalk sind das, und inhaltlich sind sie jedes Jahr gleich. Es verändert sich nur das Alter und die Wetterlage, über die noch kurz gesprochen wird, damit keine unangenehme Stille entsteht.

Gestern aber war das Gespräch ganz anders. Er war überrascht, dass ich es bin. „Normalerweise rufen nur Enkeltrickbetrüger an“, meinte er. Dann hat er mir recht ausführlich von dieser Problematik erzählt. Das war echt interessant. Natürlich habe ich schon davon gehört, aber dass die Belästigung so massiv ist, hätte ich nicht gedacht. Ich meinte darauf nur, dass ich wohl gar nicht mehr ans Telefon gehen würde, wenn mehrmals am Tag Kriminelle anrufen. „Du, ich war auch schon kurz davor, den Stecker rauszuziehen“, erwiderte er, „aber ich gehe dann doch immer wieder ran und denke mir, wer weiß, vielleicht ruft ja doch mal jemand an, einfach um zu schnacken. So wie du heute. Dafür hat es sich schon gelohnt, so oft den Hörer für die Betrüger abzuheben.“